Jubiläum | Serie III: Wie aus einer anderen Zeit

Jubiläum | Serie III: Wie aus einer anderen Zeit

Wiederkehr Nach 60 Jahren: 1961 fuhr diese Straßenbahn zum letzten Mal in Regensburg, bald soll sie wiederbelebt werden.

 

11 Regensburgs liebste Schusterleut‘: Anna Maria Eckert und Richard Eckert in ihrer Werkstatt in der Ortnergasse.

Eine andere Serie, die gezeichnet ist von der Liebe zu Regensburg und den Regensburgern, beginnt im März 2015: In 25 Teilen beschäftigt sie sich mit dem, was es eigentlich gar nicht mehr gibt – und doch noch da ist. Mit Menschen und Dingen, die aus der Zeit gefallen scheinen. Folgerichtig lautet der Titel dieser Serie auch „Wie aus einer anderen Zeit“.

11 Regensburgs Letzte: Waltraud Ernst, die einzig verbliebene Bürstenbinderin.

Sie beginnt mit den liebsten Schusterleuten der Stadt. Seit 58 Jahren arbeiten Richard und Anna Maria Eckert in ihrer Werkstatt an der Ortnergasse. 35 Quadratmeter hat ihr Reich, in dem er auch noch hoch im Achtziger steht und die Pfennigabsätze ausbessert, dabei ab und zu einen Schluck vom Weltenburger Dunkel nimmt, das am Ofen gewärmt wird, während seine Frau die schönen Ledersackerl näht. „Da tun Sie jeden Tag einen Euro rein“, sagt sie zum Stadtzeitungsmann. „Dann können Sie einmal im Jahr in Urlaub fahren.“ Das reicht zwar nicht ganz, doch der Schreiber befolgt den Rat. Drei Jahre später wird er noch einmal über die Schusterleut‘ schreiben: Im März 2018 stirbt Richard Eckert im 90. Lebensjahr. Zweieinhalb Monate, nachdem er seine Werkstatt zugesperrt hatte.

15 Jahre jünger ist die Frau, die im Mittelpunkt des nächsten Teils steht. Auf dem Werkstattstuhl umfasst sie mit geübten Fingern feinen Kupferdraht, umschlingt mit ihm das reine, gewaschene Rosshaar aus Mitterteich. Das ist vorher gewaschen, desinfiziert und getrocknet worden. Büschel für Büschel zieht sie mit dem Draht fest. Waltraud Ernst (75) weiß genau, wie sie es machen muss. Sie ist die letzte Bürstenbinderin der Stadt.

11 Tante Emma: Franziska Lecker in ihrem Laden in Untertraubenbach.

Jungenträume und Tante Emma

Die Stadtzeitung findet in der Serie den letzten Laden in der Stadt, der Jungenträume – Schweizer Taschenmesser und Modellautos – wahr werden lässt, sie entdeckt auswärts in Untertraubenbach, das für den echten Stooderer klingt wie Hinterhuglhapfing, gleich zwei echte Tante-Emma-Läden nebeneinander. In denen steigt der typische Geruch sofort in die Nase, auch wenn man ihn vielleicht seit Jahrzehnten nicht mehr wahrgenommen hat. Eine Mischung aus süßem Backpulver, Bananen, feiner Seife, Weichspüler und Wurst. So roch es vor 40 Jahren in nahezu jedem Geschäft, als es noch kaum Supermärkte und Discounter nur vereinzelt in großen Städten gab. Als man noch zum Kaufmann zum Einkaufen ging, in Kumpfmühl zum Dietl oder zum Bögl, in der Konradsiedlung zum Offenbeck und in Reinhausen zum Stadler.


11 Regensburgs Beliebtester: Keinen Kioskbetreiber schätzten die Leute so wie Heinz Huf.

Eine andere aus der Zeit gefallene Verkaufsstelle steht am Neupfarrplatz. Dort hat Heinz Huf seinen Kiosk. Der verkauft nicht nur Zeitungen, Zeitschriften und Zigaretten, sondern ist auch immer Seelentröster und Kavalier. „Servus, die Dame, einmal Bild der Frau, wie immer“, klingt die Stimme des Mannes aus dem kleinen Häuschen. „Ja, schon“, antwortet die Frau. „Aber Sie müssen sich meine neueste Errungenschaft anschauen.“ Und setzt einen breiten Sommerhut auf. „Aha“, sagt der Mann, „vom Hut König, ja der passt genau, ausgezeichnet!“ Die Frau ist zufrieden. Nur noch ein paar Monate nach der Stadtzeitungsveröffentlichung liefert der Huf-Heinz seinen Schmäh. Dann sperrt er seinen Kiosk zu. Keiner seiner Nachfolger sollte in seine Fußstapfen treten können.

Die „Woche“ und ihr bester Mann

Wie auch keiner in die der wohl bes­ten Zeitung treten könnte, die Regensburg jemals hatte. Sie brachte es an den Tag und sie war ein Revolverblatt. Darauf war ihr Chef Josef Titz, den alle nur Jupp nannten, besonders stolz. Und das bekam er im wahrsten Sinne des Wortes auch am eigenen Leibe zu spüren. Um vier Uhr morgens interviewte er den zur Fremdenlegion abgetauchten Zuhälter-König von Regensburg – mit einer Knarre im Rücken. Und das ist nicht die einzige sagenumwobene und doch wahre Geschichte der legendären „Woche“, einer lokalen Boulevardzeitung, wie es keine zweite gab. Als 17 Jahre nach ihrer Einstellung rechtzeitig zum Verkauf in der Weihnachtszeit ein Buch mit den „100 besten Geschichten, Regensburger und Oberpfälzer Skandalen aus 30 Jahren“ erscheint, greift auch die Stadtzeitung die Geschichten um den Chopper, den Zuhälterkrieg von Regensburg oder manchen Stadtskandal auf.

Die Woche hatte eine fantastische Mannschaft, allen voran der begnadete Erzähler und noch begnadetere Fotograf Horst Hanske. Als der am 13. Januar 2016 stirbt, liefert „Bild“-Journalist Adrian Mühlbauer einen einfühlsamen und ergreifenden Gastbeitrag der Serie, der mit den Worten endet: „Mach‘s gut, Amigo. Und danke an einen wahrhaft großen Lehrmeister.“

Von Horst Hanske hätte auch die Geschichte von Rose Meierhofer sein können. Die Frau, selbst Schriftstellerin, beschäftigt die Stadtzeitung in einem anderen Teil der Serie. Sie erzählt, wie aus ihr, einem Beamten-Schulmädchen aus einfachen Verhältnissen, ein Teil der Nazi-Kaderelite hätte werden sollen: „Sie sahen in uns den Nachwuchs für die eroberten Gebiete, Russland, Polen, England. Wenn die Länder besiegt worden wären, hätten sie uns später dorthin geschickt“, erzählt die Frau aus ihrer Kindheit und Jugend in der NS-Zeit.

Markt, Plattenladen, Uhrmacher

Der Wochenmarkt am Kornmarkt wird auch Thema der Serie. Schließlich ist er eigentlich nichts, was in die hektische Verkaufswelt passt und doch zur Samstags-Innenstadt gehört wie früher die Debatten vom Jahn-Parlament und der Feine Milde vom Tchibo oder im Advent der Christkindlmarkt, die Wurstkuchl, der Kneitinger und das HB. Wer im Zentrum wohnt, kauft dort ein. Und wer außerhalb wohnt, kommt wegen der Atmosphäre. Und vielleicht wegen der Knackersemmel, süß mit allem, die es an zwei Wurstbratereien gibt.

Ein unscheinbar wirkender Laden an der Steckgasse taucht auch in der Serie auf: Dort hat Martin Hammer (48) einen der letzten Plattenläden der Stadt.

11 Der tickt Richtig: Uhrmacher Erich Gerlach.

Einen der letzten seines Genres trifft die Stadtzeitung in der Weingasse: den Uhrmacher Erich Gerlach. Hunderte von Uhren hat er dort, von der billigen Kaufhaus-Armbanduhr bis zur alten englischen Standuhr von 1780. Doch eines ist für ihn bei allen Uhren gleich, von der 10-000-Euro-Rolex wie bei der 65-Mark-Swatch aus den Achtzigerjahren: „Eine Uhr ist ganz einfach dann gut, wenn sie die Zeit anzeigt, und das möglichst genau.“

Die schönen Dinge

Es geht in der Serie auch um schöne Dinge, wie um die auf Hochglanz polierten Automobile aus vergangenen Jahrzehnten, die Kindheitserinnerungen wachrufen und die sich einmal im Jahr Stoßstange an Stoßstange am Dom aufreihen – wenn Organisator Max Schneider zur Classic Rallye Regensburg mit 150 Oldtimern bittet.

Es geht um ein anderes Fahrzeug, das nach 60 Jahren sein Comeback feiern könnte – die Straßenbahn, die zum 1. August 1961 eingestellt wurde um bald auf zwei Linien durch die Stadt rattern soll.

Und es geht um einzigartige Regensburger Kreationen – um das Schwarzer Kipferl, das mit seiner röschen Kruste ein unvergleichliches Geschmackserlebnis beschert. Oder den ebenso einzigartigen Turm im alten Jahnstadion, der längst noch steht, als der sportliche Sehnsuchtsort der alten Regensburger bereits vom Abrissbagger vernichtet wurde.

Leute, wie es sie kein zweites Mal gibt

Es geht vor allem aber immer um echte Leut‘. Wie den Rekordnationalspieler Lothar Matthäus, der in der Stadtzeitung von seiner Kindheit erzählt, als er mit seinem Bruder immer auf das Puma-Gelände konnte, weil der Vater dort Hausmeister war, sie dort immer Fußball gespielt und so manches zerdeppert. „Mein Vater hat schon mal die eine oder andere Scheibe gerichtet, ohne dass das jemand gemerkt hat.“

Oder um Aki Schmidt, den Jahrhunderttrainer des SSV Jahn, der im November 2016 stirbt, dessen bester Freund der Regensburger Kultwirt Fernando d‘Amore war und der seinen letzten großen Auftritt am Akkordeon hatte – als er anlässlich der Meisterschaft seiner Dortmunder Borussia „Rubbeldiekatz am Borsigplatz“ spielt.

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11 Einmal Horten, immer Horten: Bernd Tensierowski hatte nur einen Arbeitgeber.

Ein Teil widmet sich der Mutter Courage von Regensburg, der früheren Bürgermeisterin Hildegard Anke, die zwar längst nicht mehr im Stadtrat sitzt, sich es aber auch mit 95 Jahren nicht nehmen lässt, in ihrem Büro an der D.-Martin-Luther-Straße Bürgersprechstunden zu halten. Im Sommer 2016 erzählt sie aus ihrem bewegten Leben, wie sie als echte Bayerin ins „Protektorat Böhmen und Mähren“ und von dort als Flüchtling in die Oberpfalz kam. Und sie verrät, dass sie, die politisch Schwarze, am liebsten Rot trägt.

Und die Serie beschäftigt sich mit einem außergewöhnlichen Mann, der über 50 Jahre lang nur einen Arbeitgeber hatte: „Einmal Horten, immer Horten“ ist das Porträt von Bernd Tensierowski überschrieben, der 1966 als 14-Jähriger im Kaufhaus Merkur das Handwerk des Schaufenstergestalters lernte und seinem Arbeitgeber bis zum Renteneintrittsalters treu blieb. Es ging eben immer um Menschen wie aus einer anderen Zeit. (ssm)

 


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