Jubiläum | Die Goldgräberstimmung

Jubiläum | Die Goldgräberstimmung

Van Veen als Meisterwerk: Der grandiose Schattenriss eines mindestens noch grandioseren Künstlers.

 

Der Anfang war mit dem Erstling gemacht. Dass mit der Stadtzeitung aber eine Struktur verbunden gewesen wäre, ließ sich nicht behaupten. Konsequent war die zweite Mannschaft (die erste wurde von Peter Kittel nach drei Monaten ausgetauscht) in ihrem Bestreben, anders zu sein als bestehende Studentenzeitungen. Frischer, frecher, freizügiger. Mit Boulevard-Geschichten, Klatsch, Frivolem und lässigem Feuilleton. Manches Unkonventionelle aber war weniger hohen Ansprüchen als vielmehr der sogenannten normativen Kraft des Faktischen geschuldet: Jetzt mach ma’s so, dann is es so. Beispiel gefällig?

Für den Kulturteil arbeitete in der Startphase ein gewisser Viktor Rotthaler. Der hatte sich einen Namen erworben, weil seine Konzertrezensionen und Filmkritiken scharfzüngig, von hoher Bildung getragen und doch auch für weniger Kulturbeflissene gut zu lesen waren. Ein echter Feingeist. Rotthaler ging im November 1984 im Auftrag der Stadtzeitung zum Gastspiel des ungeheuer populären holländischen Musikphilosophen Herman van Veen („Ich hab ein zärtliches Gefühl“, „Schnell weg da, weg da, weg“). Feilte lange an seinem Text, suchte aus den unzähligen Bildern eine Portraitaufnahme heraus, gab sie in die Redaktion.

Was für ein Schattenriss!

Damals musste jedes Bild für den Druck für teures Geld gerastert und von Hand in die Seitenvorlage einmontiert werden. Doch ausgerechnet beim Bild des Künstlers aus den Niederlanden war die Rasteraufnahme vergessen worden. Bemerkt wurde das erst, als es schon zu spät war. Beim Umbruch der Seiten, der unter ungemein hohem Zeitdruck stattfand. Was tun? Der damalige Umbruch-Chef und heutige Erfolgsgastronom Heinz Mierswa fackelte nicht lange: „Da papp’ ma jetzt das Foto rein und aus!“ Niemand wagte zu widersprechen, selbst dem Verleger schien diese „Lösung“ ohne Alternative. Obwohl er Schlimmstes befürchtete. Denn van Veen würde nur schemenhaft zu erkennen sein, dessen Agentur (die obendrein das Konzert mit einer Anzeige beworben hatte) toben, Rotthaler schmollen und das Leservolk höhnen.

Die Zeitung erschien. Mit dem verfremdeten Bild. Rotthaler kam in die Redaktion. Kittel stellte sich auf Vorwürfe ein, Schreikrämpfe, Kündigung. Rotthaler sah ihn an – mit Tränen in den Augen. „Was für eine grandiose Idee“, strahlte er, „diesen Mann so abzubilden! Welche Silhouette, was für ein Schattenriss, welche Symbolik! Ein großer Künstler gefangen in der Melancholie des Unkonkreten, verloren in der Grauzone des Seins! Saaaaagenhafffft!“

Kittel hielt es für angebracht, in dieser Sternstunde des Feuilletons zu schweigen.

Stadt – Land – Fluss

Genauso, als ihm ein Fachmann attestierte, sein Programmschema sei wunderbar übersichtlich. Ein Freund hingegen kritisierte, der Veranstaltungskalender sehe aus wie eine Vorlage für Stadt-Land-Fluss. Waagrecht die Veranstaltungsorte, senkrecht die Tage. Und wenn in der Volkshochschule nichts los war, wurden leere Felder abgedruckt. Die hatte aber monatelang Semesterferien ...

Trotz alledem: Es war eine Goldgräberstimmung in der Redaktion. Nichts war für die Ewigkeit, alles änderte sich ständig. Es gab viel Sport. Regelmäßig ging es um das Auf und Ab des Jahn und den EVR. Doch mittendrin stand eine Reportage eines bedeutungslosen Schach-Schauwettkampfs zwischen dem Zweitbundesligaspieler Robert Mandl und einem völlig Unbekannten, der detailgetreu über zwei Spalten analysiert wurde.

Unfreiwillige Komik, aber überraschenderweise keine Zuschriften, die Frauenfeindlichkeit vorwarfen, lieferte die Schlagzeile vom 7. November 1984: „Studentinnen nehmen zu“. Gemeint war weniger der Leibesumfang, sondern vielmehr die Zahl der an der Uni eingeschriebenen Mädels.

- Anzeige -

Die Zeichnung mit der Maus

Völlig unvermittelt tauchte 1986 ein regelmäßiger Polizeibericht auf, der aber schnell wieder verschwand. Legendär war das Suchbild, in dem der RSZ-Karikaturist fünf Unterschiede bei zwei ansonst identischen Zeichnungen einfügte. Und eine Maus, die es zu finden galt – ganz nach dem grandiosen Vorbild des Zeichners Sepp Arnemann in Deutschlands beliebtester Fernsehzeitschrift „TV Hören und Sehen“.

Es gab natürlich auch immer wieder kleinere Unpünktlichkeiten bei der Auslieferung, beim Druck, beim Umbruch. Aus verschiedensten Ursachen: Schneechaos auf der Autobahn beim Anliefern in die Druckerei. Denn gedruckt wurde, wo es am billigsten war. In Fürstenfeldbruck, Kroatien, Österreich, der Tschechoslowakei: Der Weg dorthin war manchmal lang …

Oder es gab Ärger in der Redaktion – und im Satzstudio. Weil da die Redaktion mit den Texten nicht zu Potte kam oder die Techniker sich eine Krise nahmen.

Kurz und gut: Es war ein Chaos, aber ein liebenswürdiges. Das sich alle 14 Tage ereignete und nach zwei Jahren für eine Revolution sorgte: Ab dem 26. September 1986 erschien die Regensburger Stadtzeitung als kompaktes Monatsmagazin im halbnordischen Format – wie eine Illustrierte, aber auf Zeitungspapier. Die neue Zeitung lag gut in der Hand, hatte den Vorteil, dass eine ganze Werbungsseite günstiger verkauft werden konnte – und sah ungeheuer professionell aus. (ssm)

suchbildDas gab es wirklich: das Suchbild mit den Unterschieden.


Die „Nachgefragt“-Reihe

Magazin weitere Artikel

Aus bayerischen Polizeiberichten | Nürnberg: Jordanier belästigt Frau auf Toilette

Aus bayerischen Polizeiberichten | Nürnberg: Jordanier belästigt Frau auf Toilette

Ein Mann belästigte am späten Mittwochabend in der Nürnberger Innenstadt eine Frau auf der Damentoilette einer Bar.

>> weiterlesen

Aus bayerischen Polizeiberichten | Angstraum Bahnhof: Körperverletzung, Ladendiebstahl, Leistungserschleichung

Aus bayerischen Polizeiberichten | Angstraum Bahnhof: Körperverletzung, Ladendiebstahl, Leistungserschleichung

Am Wochenende haben Bundespolizisten am Hauptbahnhof Regensburg ein vermisstes Mädchen in Gewahrsam und einen gesuchten Schwarzfahrer festgenommen. Zudem ermittelt das Bundespolizeirevier Regensburg in zwei Fällen wegen Körperverletzung.

>> weiterlesen

Nachgefragt | Prestigeprojekte im Problemviertel – ist der Regensburger Osten zu retten?

Nachgefragt | Prestigeprojekte im Problemviertel – ist der Regensburger Osten zu retten?

Der Regensburger Osten soll aufgewertet werden – das Umfeld kann jedoch als bedenklich angesehen werden.

>> weiterlesen

Nachgefragt | Update: Containerdepot abgewehrt – muss das Biotop trotzdem sterben?

Nachgefragt | Update: Containerdepot abgewehrt – muss das Biotop trotzdem sterben?

Hält die OB an der Versiegelung der Biotopfläche am Ostbahnhof fest?

>> weiterlesen

Aus bayerischen Polizeiberichten | Marquartstein: Vier geschleuste Syrer von Grenzpolizei ertappt

Aus bayerischen Polizeiberichten | Marquartstein: Vier geschleuste Syrer von Grenzpolizei ertappt

Am frühen Sonntagmorgen hat eine Polizeistreife eine Gruppe unerlaubt eingereister Personen festgestellt, die zuvor dort abgesetzt worden war.

>> weiterlesen

Aus bayerischen Polizeiberichten | Regensburg: Betrunkener Deutscher im Bahnhofsedeka erhält Platzverweis

Aus bayerischen Polizeiberichten | Regensburg: Betrunkener Deutscher im Bahnhofsedeka erhält Platzverweis

Am Freitag hat 38-Jähriger Polizisten bei der Durchsetzung eines Platzverweises tätlich angegriffen.

>> weiterlesen

Nachgefragt | Messer, Drogen und Urin: Vom dramatischen Niedergang einer einstigen Prachtstraße

Nachgefragt | Messer, Drogen und Urin: Vom dramatischen Niedergang einer einstigen Prachtstraße

Die Maxstraße ist kaum noch als „Prachtstraße“ zu erkennen. Jetzt scheinen die kriminellen Energien vom Bahnhof in die Maxstraße überzuschwappen.

>> weiterlesen

In & Out | Da frohlockt die Schlepper-Zunft: frisches Steuergeld für „Sea-Eye“

In & Out | Da frohlockt die Schlepper-Zunft: frisches Steuergeld für „Sea-Eye“

Korkenknallen bei den Schleppern und Menschenhändlern in den MAGHREB-Staaten!

>> weiterlesen

In & Out | Wie naive Journalisten, linke Fanatiker und eine abgehalfterte Schlagerdiva der bösen AfD innerhalb kürzester Zeit satte Stimmengewinne bescherten

In & Out | Wie naive Journalisten, linke Fanatiker und eine abgehalfterte Schlagerdiva der bösen AfD innerhalb kürzester Zeit satte Stimmengewinne bescherten

Wenn Dummheit weh täte, müsste das gesamte Hauptstadtstudio der ARD und die extreme Linke Deutschlands zumindest seit einigen Tagen gemeinsam vor Schmerz brüllen.

>> weiterlesen

© Regensburger Stadtzeitung