Nachgefragt | Deutschland in Aufregung: Darf man „Ausländer raus“ sagen? Waren alle Mitglieder der SS Verbrecher? – der bekannte Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Tonio Walter im Interview

Nachgefragt | Deutschland in Aufregung: Darf man „Ausländer raus“ sagen? Waren alle Mitglieder der SS Verbrecher? – der bekannte Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Tonio Walter im Interview

Prof. Dr. Tonio Walter, 53 Jahre: Strafrechtler, Hochschullehrer, Jurist.

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Die Party auf Sylt ist in aller Munde und beim Europa-Wahlkampf fallen hochkontroverse Sprüche. Die Cancel Culture schlägt Alarm. Doch ob die Justiz aktiv wird, steht auf einem anderen Blatt. Sind alle SS-Männer juristisch gesehen Verbrecher? Darf man „Ausländer raus“ überhaupt sagen? Wir haben den bekannten Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Tonio Walter um eine juristische Einschätzung gebeten.

Die Kriegsverbrecher-Kontroverse

Stadtzeitung: Der AfD-Europa-Politiker Maximilian Krah hat gesagt: „Es gab mit Sicherheit eine hohe Prozentzahl an Kriminellen, aber nicht alle waren es. Ich werde nie sagen, dass jeder, der eine SS-Uniform trug, automatisch ein Verbrecher war.“ Wie ordnen Sie dieses Zitat ein? Ich bitte Sie um eine unpolitische, rein juristische Einordnung.

Prof. Dr. Walter: Krahs Sätze enthalten zutreffende Tatsachenbehauptungen und sind daher nicht strafbar. Zwar ist die SS vom Nürnberger Kriegsverbrechertribunal zu Recht als „verbrecherische Organisation“ eingestuft worden, weil sie jedenfalls ab einem bestimmten Zeitpunkt auch die Aufgabe hatte, in großem Ausmaß Verbrechen zu begehen. Aber daraus folgt nicht, dass jedes Mitglied der SS allein schon durch diese Mitgliedschaft ein Verbrechen begangen hätte. Eine solche Konsequenz hat auch noch kein Gericht gezogen. Sonst müssten übrigens z. B. auch Günter Grass, Hanns Martin Schleyer und Carl Schmitt (Jurist) als Verbrecher betrachtet werden; sie alle waren zumindest zeitweise Mitglied der SS. – Auf einem anderen Blatt steht Krahs politische Intention. Sie dürfte darauf gerichtet sein, den verbrecherischen Gesamtcharakter der SS zu relativieren. Das halte ich für verfehlt, ist aber (als Intention) nicht strafbar.

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Partygesänge oder kriminelle Machenschaften?

Stadtzeitung: Die Sylter Partygesänge „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ werden aktuell ebenso kontrovers diskutiert. Wie ordnen Sie die Parole ein? Ich bitte Sie wieder um eine unpolitische, rein juristische Einordnung.

Prof. Dr. Walter: Die Parole „Ausländer raus“ ist für sich betrachtet ebenfalls nicht strafbar. Nur wenn „besondere Umstände“ hinzutreten, kann sie den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen, § 130 Absatz 1 Nummer 2 StGB (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2010/02/rk20100204_1bvr036904.html).

Ob es auf Sylt solche Umstände gegeben hat, ermittelt die Staatsanwaltschaft gerade. Dem kann und will ich nicht vorgreifen. Besondere Umstände dieser Art könnten etwa sein – fiktive Beispiele –, wenn jemand diese Parole öffentlich grölt und zugleich einen Menschen mit erkennbarem Migrationshintergrund anspuckt oder ein Plakat zeigt, auf dem jemand Ungeziefer aus der Wohnung fegt.

Stadtzeitung: Herr Professor, herzlichen Dank für Ihre Expertise!

Gehen Sie wählen!

Ob kontroverse Parolen und Zitate gesetzeswidrig sind, darüber entscheidet die Justiz. Gleichwohl herrscht in Europa Meinungspluralismus: Was gut oder schlecht ist, darüber entscheidet jeder selbst. Machen Sie Ihre Meinung geltend: Am 9. Juni 2024 ist Europawahl. (lnw)

 


Wer ist Prof. Dr. Tonio Walter?

Juristisches

Seit 2016 ist Prof. Dr. Tonio Walter Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Europäisches Strafrecht der Universität Regensburg. Von 2013–2016 war er Richter am Oberlandesgericht Nürnberg, von 2014–2018 stellvertretendes Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes, von 2019–2023 Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht.

Politisches

Prof. Dr. Tonio Walter sollte 2008 für die Regensburger SPD als Kandidat für die Wahl des Oberbürgermeisters aufgestellt werden, was jedoch ohne Erfolg blieb. Bei den Kommunalwahlen zog er in den Stadtrat ein, wo er Mitglied im Bau- und Vergabeausschuss, im Sportausschuss sowie im Ausschuss für Wirtschaft und Beteiligungen wurde. 2010 legte er sein Stadtratsmandat zugunsten seiner Arbeit als Hochschullehrer nieder. 2018 trat er im Rahmen der Wolbergsaffäre aus der Partei aus. 

 


Die „Nachgefragt“-Reihe

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  • gepostet am: Donnerstag, 06. Juni 2024

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