Am Schreibtisch des Arthur Schnitzler

Am Schreibtisch des Arthur Schnitzler

Bildunterschrift: Ein groß angelegtes Arthur-Schnitzler-Projekt publiziert die erste historisch-kritische Ausgabe über das Frühwerk des österreichischen Schriftstellers.

Seit Jahren arbeitet ein Wiener Forscherteam mit Unterstützung des Wissenschaftsfonds FWF am Nachlass der frühen Werke von Arthur Schnitzler (1862–1931). Das große Publikationsprojekt liefert viel Stoff für neue Fragen und überträgt das Schaffen des österreichischen Schriftstellers ins digitale Zeitalter.

Ungefähr drei Monate Einlesezeit brauche es schon, bis man mit Arthur Schnitzlers Handschrift halbwegs vertraut sei, erzählt Konstanze Fliedl von der Universität Wien. Vor knapp zehn Jahren hat sich die Literaturwissenschafterin einem Großprojekt verschrieben, als sie mit der Edition des Frühwerks des bedeutenden Schriftstellers der Wiener Moderne begann. Schnitzlers lange als unentzifferbar geltende Handschrift, aber auch der umfangreiche und europaweit verstreute Nachlass des Autors, waren die Gründe dafür, dass es bis ins 21. Jahrhundert keine systematische Aufarbeitung der Genese seiner Werke gab.


- Anzeigen -

Inzwischen liegen zehn neue Bände vor, unter ihnen die bekannten Dramen Anatol* und Liebelei* sowie die Novelle Lieutenant Gustl*; deren Entstehungsgeschichten werden im Detail nachgezeichnet und neue Perspektiven erschlossen – fast so, als hätte man Schnitzler beim Schreiben über die Schulter geschaut. „Es handelt sich um eine genetische Edition“, betont Fliedl. Die Ausgaben enthalten also keine Interpretationen oder Wirkungsgeschichten – was wohl mehr als ein Lebenswerk wäre –, sondern stellen minutiös, Wort für Wort, die Entstehungs- und Druckgeschichte der Werke Arthur Schnitzlers bis 1904 dar. Bis zu dem Zeitpunkt hat Schnitzler überwiegend handschriftlich – mit Bleistift – geschrieben, danach fast nur noch (mündlich) diktiert. Die meisten dieser frühen Manuskripte liegen heute in der Cambridge University Library, wohin sie 1938, als die deutsche Wehrmacht in Österreich einmarschierte, in Sicherheit gebracht wurden. Allein dieser Nachlass wird auf rund 40.000 Seiten geschätzt.

Von der Notiz zum Druck

In der neuen Ausgabe – in Kürze wird Reigen* erscheinen – wird sämtliches erhaltenes Material in Faksimiles wiedergegeben und zwar in Originalgröße inklusive Transkription. Sie bildet den gesamten Schreibprozess ab: Streichungen, Tilgungen, Überschreibungen und so weiter. Deutlich wird hier auch, wie stark viele Manuskripte von der Druckvorlage abweichen. Und bleiben Fragen offen, etwa Entzifferungsunsicherheiten, sind auch diese für die Leserin und den Leser kenntlich gemacht. Zudem enthalten die Ausgaben die Fassungen der Werke auf Basis der Erstausgaben. „Das ist insofern wichtig, als die bis dato vorhandenen Taschenbuchausgaben viele Fehler enthalten. Daher haben wir die Texte nach dem ersten Druck, der von Schnitzler auch angesehen wurde, konstituiert“, sagt die Wissenschafterin. Viel Zeit und Arbeit sei dabei auch in Überlegungen geflossen, wie sich das alles am besten typographisch darstellen ließe.

Von der Buchedition ins digitale Zeitalter

Die historisch-kritische Ausgabe ist zunächst als Printversion und E-Book im Verlag De Gruyter erschienen. Als zweiten Schritt hat das Team um Fliedl die Editionen mithilfe digitaler Technologien selbstständig für den Druck aufbereitet (gesetzt). Diese Datenaufbereitung soll nun in der abschließenden Phase (bis 2021) dieser aufwendigen Forschungsarbeit, die vom Wissenschaftsfonds FWF seit ihrem Beginn in 2010 unterstützt wird, in eine Online-Version münden. Mit der Expertise des Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), wo aktuell übrigens auch ein Projekt zu Schnitzlers Korrespondenzen im Entstehen ist, wird die technische Aufbereitung umgesetzt. Die digitalen Möglichkeiten bieten den Vorteil, die Entstehungsgeschichten visuell nachzuzeichnen wie zum Beispiel im Fall der Erzählung Blumen*, wo diese besonders kompliziert ist, viel Material umgruppiert wurde und sich Seiten verschoben haben.

Neues Licht auf den Schriftsteller

Die aktuelle Edition von Schnitzlers Frühwerk ist nicht nur eine enorme Publikationsleistung, sie liefert auch neue Grundlagen für die Schnitzlerforschung. Nicht zuletzt fördert der freie Zugang auf die Fassungen den wissenschaftlichen Austausch. Bereits im aktuellen Projekt ist erstmals eine werkübergreifende digitale Textgenese in Zusammenarbeit mit einem britischen Forschungsteam geplant, die sich mit Schnitzlers Werk der mittleren Schaffensperiode befasst.


- Anzeige -

„Für mich persönlich war es spannend zu erfahren, wie viel Arbeit Arthur Schnitzler von der ersten Bleistiftnotiz über Heftmanuskripte bis zur Druckedition in die Form investiert hat“, resümiert Konstanze Fliedl. Man könne seinen Arbeitsprozess als einen Akt der Ökonomisierung bezeichnen, der der Komposition zugutekommen sei, so die Expertin. „Schnitzler gilt ja als ‚Impressionist’, als einer, der aus der Stimmung heraus schrieb. Nichts ist falscher als diese Vorstellung. Es stecken in Wahrheit unglaublich viel harte Arbeit und Handwerk dahinter.“

Preisverleihung und szenische Lesung

Anlässlich der Buchpräsentation von Reigen* fand am 6. Juni 2019 eine szenische Lesung zu dem skandalumwitterten Werk im Burgtheater (Kasino am Schwarzenbergplatz) in Wien statt. In diesem Rahmen wurde auch der Arthur Schnitzler-Preis zum vierten Mal vergeben, mit dem heuer der Dramatiker und Regisseur René Pollesch ausgezeichnet wurde.

Zur Person

Konstanze Fliedl ist Professorin am Institut für Germanistik der Universität Wien. Sie studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Theologie und habilitierte sich über Arthur Schnitzler. Sie hatte Gastprofessuren u. a. in Berlin und Zürich inne und forschte in Harvard und Yale. Fliedl ist Präsidentin der Arthur Schnitzler-Gesellschaft und arbeitet zu den Schwerpunkten Edition, österreichische Literatur und Literaturkritik.

  • Tags:
  • gepostet am: Freitag, 21. Juni 2019

Kultour weitere Artikel

Bring dem Christkind Deine Wünsche!“

Bring dem Christkind Deine Wünsche!“

Eintritt für Kinder bis 16 Jahre frei
Erstmals in der Geschichte des „Romantischen Weihnachtsmarktes auf Schloss Thurn und Taxis“ kam das „Fürstliche Christkind“ am ersten Adventsonntag aus seinen himmlischen Sphären herab

 

>> weiterlesen

Zweite „Romantische Lichternacht“ trägt Friedenswünsche in die Welt

Zweite „Romantische Lichternacht“ trägt Friedenswünsche in die Welt

Die „Romantische Lichternacht“ gehört inzwischen zu den stimmungsvollen Höhepunkten des weltberühmten „Romantischen Weihnachtsmarktes auf Schloss Thurn und Taxis“. Angeführt von den „Lichterfeen“ findet bei Einbruch der Dunkelheit ein strahlender Laternenzug durch den Markt statt.

>> weiterlesen

Mädchenchor der Regensburger Domspatzen

Mädchenchor der Regensburger Domspatzen

Seit 2022 nehmen die Regensburger Domspatzen in Gymnasium und Internat auch Mädchen auf, die wie die Buben an dieser über 1.000-jährigen Institution eine einzigartige musikalische Ausbildung bekommen.

>> weiterlesen

„Lady in Red“ live mit Chris de Burgh

„Lady in Red“ live mit Chris de Burgh

Der Weltstar aus Irland, Chris de Burgh, kommt im Rahmen seiner „50LO“ Tour zu den Thurn und Taxis Schlossfestspielen.
Seit Mitte der 70er Jahre verzaubert er mit seiner einmaligen Stimme und räumt Gold- und Platin-Auszeichnungen ab wie kaum ein anderer Künstler.

>> weiterlesen

Neujahrskonzert: Beethoven 9. Sinfonie

Neujahrskonzert: Beethoven 9. Sinfonie

Nur wenige Werke wären wohl zur Einstimmung auf 2025 besser geeignet als die 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven! Sie entstand hauptsächlich zwischen 1822 und 1824 und gilt als Höhepunkt des kompositorischen Schaffens von Ludwig van Beethoven.

>> weiterlesen

Wandel Bayerns zu Zeiten Ludwigs I.

Wandel Bayerns zu Zeiten Ludwigs I.

Kriege, Revolutionen, Umwälzungen – 1825 übernimmt Ludwig I. ein fast bankrottes Königreich. Reformen hatten das Land überfordert. Die Aufhebung der Klöster – ein einziges Desaster! Fürsorge und Bildung liegen am Boden. Das neue Land muss geeint werden – am liebsten durch Kanal und...

>> weiterlesen

JEDERMANN – Star-Besetzung bei den Thurn und Taxis Schlossfestspielen

JEDERMANN – Star-Besetzung bei den Thurn und Taxis Schlossfestspielen

Am 26. Juli 2025 ist der Theaterklassiker JEDERMANN von Hugo von Hofmannsthal auf der fürstlichen Schlossbühne mit einer herausragenden Star-Besetzung zu sehen – darunter die bekannten Schauspieler Erol Sander, Hardy Krüger jr..

>> weiterlesen

Domspatzen singen am

Domspatzen singen am "Romantischen Weihnachtsmarkt"

Der Grundschulchor der Regensburger Domspatzen tritt am 26.11. um 17 Uhr, kurz nach dem Erscheinen des Christkinds auf dem Schlossbalkon auf.

 

>> weiterlesen

Anastacia kommt 2025 ins fürstliche Schloss

Anastacia kommt 2025 ins fürstliche Schloss

Die Pop-Ikone mit der unverkennbaren Powerstimme ANASTACIA kommt am 22. Juli 2025 zu den Thurn und Taxis Schlossfestspielen! Mehr als 30 Millionen verkaufte Alben weltweit und Multi-Platin-Hits wie „I’m Outta Love“, „Paid My Dues“, „One Day In Your Life“ oder „Left Outside...

>> weiterlesen

Literatur weitere Artikel

Alina Pfeifer – Himmel trifft Erde

Alina Pfeifer – Himmel trifft Erde

Wer bin ich, wer will ich sein und wo will ich hin? Die Poetry-Slammerin nimmt uns in „Himmel trifft Erde“ mit auf ihre Suche nach Antworten auf die großen und kleinen Fragen des Lebens. 

>> weiterlesen

Vivian Gornick – Eine Frau in New York

Vivian Gornick – Eine Frau in New York

Vivian Gornick, eine Suchende, nichts beruhigt sie mehr als ein Fußmarsch durch die Straßenschluchten New Yorks. Auf der Suche ist sie nach der Frau, die sie sein möchte.

>> weiterlesen

Felix Weber – Staub zu Staub

Felix Weber – Staub zu Staub

Niederlande, 1949: Der ehemalige Widerstandskämpfer Siem Coburg lebt zurückgezogen am Hausboot. Erst als ihn der alte Bauer Tammens bittet, den Tod seines Enkels aufzuklären, kehrt Coburg in die Stadt zurück.

>> weiterlesen

Randolf Menzel, Matthias Eckoldt – Die Intelligenz der Bienen

Randolf Menzel, Matthias Eckoldt – Die Intelligenz der Bienen

Wir lieben die Bienen nicht nur, weil sie süßen Honig produzieren. Sie gehören zu den wichtigsten und intelligentesten Nutztieren der Erde.

>> weiterlesen

Heike Abidi, Ursi Breidenbach – Eine wahre Freundin ist wie ein BH

Heike Abidi, Ursi Breidenbach – Eine wahre Freundin ist wie ein BH

Eine Freundin ist Ratgeberin, Vertraute, Lieblingsmensch, ehrlichste Kritikerin und beste Gesprächspartnerin. Egal, wie sich die Lebensumstände ändern mögen, Freundinnen sind einfach unverzichtbar, und zwar vom Kindergarten bis zum Seniorenstammtisch.

>> weiterlesen

Dr. Manfred Renner – Schöne Beine für alle

Dr. Manfred Renner – Schöne Beine für alle

Heilpraktiker Dr. Manfred Renner zeigt, warum nicht alle Operationen nötig sind, gegebenenfalls sogar schaden, warum manche Hausmittel gar nicht wirken können.

>> weiterlesen

Laura van den Berg – Das dritte Hotel

Laura van den Berg – Das dritte Hotel

Mit einem Flug ins sommerliche Kuba beginnt für Clare eine Reise in die Vergangenheit. Kurz zuvor hat sie ihren Mann bei einem Unfall verloren. Nun besucht sie auf seinen Spuren ein Filmfestival in Havanna, als er plötzlich vor ihr steht.

>> weiterlesen

Martina Leibovici-Mühlberger – Startklar

Martina Leibovici-Mühlberger – Startklar

Die COVID-19-Krise tritt als medizinische Katastrophe in Erscheinung, tatsächlich handelt es sich aber um eine ideelle Krise, die wir selbst verschuldet haben.

>> weiterlesen

Sinda Dimroth – Die Kunst ist das einzige, was bleibt

Sinda Dimroth – Die Kunst ist das einzige, was bleibt

Spiegelt Kunst die gesellschaftlichen Brüche ihrer Zeit? Von dieser Frage geht die Biografie des Kunstsammlers Hermann Bode „Die Kunst ist das Einzige, was bleibt" (Sinda Dimroth, Buch&media 04/2020) aus. 

>> weiterlesen

© Regensburger Stadtzeitung