Die Sucht nach dem Jackpot

Die Sucht nach dem Jackpot

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Robert M. (Name geändert) war spielsüchtig. Alles drehte sich um den Kick des leuchtenden Automaten. Er verstrickte sich immer weiter in einem Konstrukt aus Lügen, um seine Familie im Dunkeln zu lassen, doch irgendwann brach alles wie ein Kartenhaus zusammen.

Spielsucht kann Leben zerstören. Die Caritas-Suchtberaterin Celine Schulz-Fähnrich hilft Betroffenen und Angehörigen. Seit zehn Jahren gibt es dieses Hilfsangebot in Regensburg. „Wer süchtig ist nach Glücksspiel oder Sportwetten, läuft Gefahr, sein Leben zu ruinieren“, sagt die Sozialpädagogin Celine Schulz-Fähnrich. Sie arbeitet bei der Caritas-Fachambulanz für Suchtprobleme in Regensburg. Ihr Schwerpunkt: Glücksspiel- und Mediensucht.
In Bayern, schätzen Experten, gibt es fast 70.000 Glücksspielsüchtige. Seit vor zehn Jahren die Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern (LSG) gegründet wurde, haben die Beraterinnen und Berater über 13.000 Betroffenen und 3000 Angehörigen geholfen. Einer der 22 Standorte der LSG befindet sich in Regensburg: das Caritas-Büro von Celine Schulz-Fähnrich. Jährlich wenden sich rund 130 Glücksspielsüchtige an die Suchtberaterin. Manche der Menschen, die zu ihr kommen, haben Probleme mit Sportwetten und Onlinespielen – aber die meisten, über 70 Prozent, sind süchtig nach Spielautomaten. So wie Robert M. (Name geändert) es war.

Robert M., der Schulz-Fähnrich an diesem Morgen gegenüber sitzt, ist 49 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder. Ein selbstständiger Fliesenleger mit kurz geschorenem Haar und einer aufgeräumten Erscheinung. Was man ihm nicht ansieht: Er hat einen Selbstmordversuch hinter sich. Nicht mal seine Ehefrau wusste von seiner Spielsucht.

Er weiß noch, wie er das erste Mal am Spielautomaten stand. Er war sieben Jahre alt und mit seinen Eltern in einem Lokal. Da blinkte im dunklen Gaststättenflur ein Automat. Der Junge spielte mit einem Einsatz von 50 Pfennig – und gewann fünf Mark. Später, mit 16, zog Robert M. allein in die Kneipe. Wieder ein dunkler Flur, blinkende Lichter, und diese diebische Freude über jeden Gewinn. Mit 18 brauchte er neben seiner Lehre zum Fliesenleger schon einen Zweitjob, um seine Spielsucht zu finanzieren. „Ich verspielte 2.000 Euro im Monat.“

Der Schuldenstand von Betroffenen, die in Beratung sind, beläuft sich laut einer Erhebung des Arbeitskreises gegen Spielsucht e. V. auf durchschnittlich rund 24.000 Euro. Die meisten Glücksspieler machen wie Robert M. bereits als Jugendliche oder junge Erwachsene erste Spielerfahrungen, sagt Schulz-Fähnrich. Dabei gehe es anfangs um pure Unterhaltung und das Befriedigen der Neugier. Alle Spieler erinnerten sich an ihre ersten Gewinnmomente – egal, ob es fünf Mark waren oder achtzig Euro. „Das Gehirn speichert den Glücksmoment“, sagt Schulz-Fähnrich, „das Gefühl, wenn der Automat leuchtet und anzeigt: Jackpot!“

Auch bei Robert M. drehte sich alles um diesen Kick. „Wenn ich vor dem Automaten saß, war das Nervenkitzel pur“, sagt er. Der ganze Ärger, die Termine, die Verpflichtungen waren vergessen. Die Welt blieb draußen. Diese Sucht nach dem Kick, diese Flucht aus der Realität trieben ihn im Alter von 27 Jahren an den Rand des Ruins. Seelisch und finanziell am Ende, beging er einen Selbstmordversuch. Erst dann wandte er sich an die Suchthilfe und fand Halt in einer Selbsthilfegruppe. Der Austausch mit anderen Betroffenen stabilisierte ihn. Drei Jahre lang schaffte er es, ein spielfreies Leben zu führen. Dann der Rückfall.

Aus beruflichen Gründen musste Robert M. umziehen, in einen kleinen Ort im Bayerischen Wald, nahe der tschechischen Grenze. Eines Abends, „vielleicht aus Leichtsinn, vielleicht aus Einsamkeit“, spielte er wieder. Nur dieses eine Mal, sagte er sich. Doch er konnte dem Blinken nicht widerstehen, den Jackpots, dem Kick. Er rutschte erneut in die Sucht, verspürte täglich „den Zwang zu spielen“.

In den folgenden Jahren lebte er zwei Leben: in seinem ersten heiratete er, bekam Kinder und war beruflich erfolgreich. In seinem zweiten zockte er. „Eine Glücksspielsucht ist oft ein Ventil, um das Angepasste aus dem eigenen Leben auszublenden“, sagt Schulz-Fähnrich. Das Glücksspiel diente Robert M. als Ausbruch aus seinem vermeintlich tristen Alltag. Die Spielsucht treffe häufig Männer mit einer „Affinität zur Risikobereitschaft“.

Robert M. verstrickte sich in einem Konstrukt aus Lügen. Wenn er nach stundenlangem Zocken spät am Abend nach Hause kam, erfand er Ausreden. Er arbeitete als selbstständiger Fliesenleger, mal trocknete angeblich der Mörtel nicht, mal hatte er eine Autopanne, mal fiel ihm auf der Baustelle die Tür zu, den Schlüssel hatte ein Kollege, der Akku des Telefons war leer – das Lügen kostete Kraft. Nach und nach entglitt Robert M. neben dem Geld auch seine Persönlichkeit. Er schlief kaum noch, war gereizt und ständig erschöpft. „Ich stand wie vor einer Wand, alles war blockiert.“ Als er irgendwann alles verzockt hatte und kein Cent mehr für den Einkauf im Haus war, flog sein „Geheimnis“ auf. Ein Schock – und zugleich ein Neuanfang.

Im November 2017 suchte Robert M. erstmals Celine Schulz-Fähnrich in der Beratungsstelle auf. „Üblicherweise dauert es sieben bis neun Jahre, bis ein Glücksspielsüchtiger erstmals eine Beratung in Anspruch nimmt“, sagt Schulz-Fähnrich. Bei Robert M. waren es fast zwanzig. „Als er kam, war er am Tiefpunkt“, erinnert sich die Beraterin. Doch er machte bald Fortschritte. Erste Gespräche schafften Erleichterung, eine stationäre Therapie folgte, „wie in einer Käseglocke, mal weg von allem“. Seither geht er regelmäßig in eine Selbsthilfegruppe und zu Einzelgesprächen zu Schulz-Fähnrich. Seit einem Jahr lebt er spielfrei.

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„Ich muss nicht mehr lügen“, sagt Robert M. „Das ist eine Riesenerleichterung.“ Er kann sich nun auf sein eines, echtes Leben konzentrieren: Das eines Familienvaters, der in einem Einfamilienhaus in der Oberpfalz wohnt, einen handwerklichen Betrieb führt und Mitglied im Schützenverein ist; der seit kurzem im Betroffenenbeirat der Landesstelle für Glücksspielsucht sitzt und der seine Geschichte erzählt, um anderen Betroffenen Mut zu machen und ihnen zu zeigen, dass es einen Weg aus der Sucht gibt.

Bildunterschrift

Die Sozialpädagogin Celine Schulz-Fähnrich ist Suchtberaterin bei der Caritas-Fachambulanz für Suchtprobleme in Regensburg. Ihr Schwerpunkt: Glücksspiel- und Mediensucht.

Info

Die Caritas-Fachambulanz für Suchtprobleme bietet allen Personen mit Abhängigkeitsproblemen und deren Angehörigen Beratung und Hilfe an. Weitere Informationen zum Angebot der Caritas-Suchthilfe und Kontaktadressen: www.suchthilfe-ostbayern.de

In der Regensburger Fachambulanz für Suchtprobleme gibt es eine Selbsthilfegruppe für Spielsüchtige, die sich immer dienstags in den ungeraden Kalenderwochen von 17.30 bis 19 Uhr in der Hemauerstraße 10c trifft. Eine Teilnahme ist ohne Voranmeldung möglich. Ebenso wie Betroffene können sich auch Angehörige an das Hilfesystem wenden. Die LSG hat zudem ein Onlineangebot: www.verspiel-nicht-mein-leben.de

  • gepostet am: Donnerstag, 13. Dezember 2018

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