
Wie man Krebszellen die Wachstumsgrundlage entziehen könnte
Bildunterschrift: Isolierung einer einzelnen, gestreuten Krebszelle.
Regensburger Forscher entdecken, wie gestreute Brustkrebszellen Wachstumsfaktoren des Knochenmarks zur Metastasenbildung nutzen.
Krebs ist eine tödliche Erkrankung, die aufgrund des wachsenden Alters der westlichen Bevölkerung weltweit stetig steigende Fallzahlen verzeichnet. Die häufigste Todesursache bei Patienten mit einer Erkrankung wie Brustkrebs sind dabei Metastasen, welche sich in lebenswichtigen Organen bilden, wie beispielsweise im Knochenmark, in der Lunge, im Gehirn und der Leber. Obwohl die Streuung von Krebszellen bei Brustkrebspatientinnen bereits früh während der Entstehung des Primärtumors stattfindet, entwickeln nicht alle Patientinnen mit gestreuten Krebszellen Metastasen oder es können Jahre, mitunter sogar Jahrzehnte vergehen, bis erste Metastasen auftreten. Die frühe Streuung einerseits und die langen Latenzzeiten der Metastasierung andererseits werfen die Frage auf, welche Faktoren ein Auswachsen gestreuter Krebszellen zu Metastasen begünstigen oder verhindern.
Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, haben Klein und sein Team diagnostische Knochenmarksbiopsien von 246 Patientinnen mit Brustkrebs im frühen Stadium auf gestreute Krebszellen untersucht, diese isoliert und molekular mit neuesten Einzelzelltechnologien analysiert. Diese Untersuchungen waren mit besonderen technischen Herausforderungen verbunden, da gestreute Krebszellen im frühen Stadium einer soliden Krebserkrankung bei nur 20 bis 30 Prozent der Patientinnen im Knochenmark gefunden werden und dies mit einer Häufigkeit von nur etwa einer Krebszelle in einer bis zehn Millionen Knochenmarkszellen. Diese Gegebenheiten erforderten nicht nur engagierte klinische Partner am Caritas Krankenhaus St. Josef in Regensburg und der Ludwig-Maximilians-Universität München, sondern auch den Einsatz hochspezialisierter Technologien. Hierzu gehören die sensitiven Detektionsverfahren für disseminierte Krebszellen in diagnostischen Knochenmarkbiopsien am Lehrstuhl für Experimentelle Medizin und Therapieverfahren der Universität Regensburg sowie die neuesten Sequenzierungstechnologien, um aus geringsten Zellmengen bzw. Einzelzellen molekularbiologische Informationen zu extrahieren – eine Kernkompetenz des Bereichs Personalisierte Tumortherapie am Fraunhofer ITEM in Regensburg.
Das Forschungsteam konnte zeigen, dass die ins Knochenmark gestreuten Krebszellen auf den Wachstumsfaktor Interleukin-6 ansprechen, der in der normalen Knochenmarksumgebung in hohem Maße vorhanden ist. Anhand von Zellkulturmodellen mit Brustgewebszellen aus Nicht-Tumorpatientinnen wurde deutlich, dass die Krebszellen durch das Interleukin-6-Signal Stammzelleigenschaften erwerben, von denen angenommen wird, dass sie essenziell für die Bildung von Metastasen sind. Die Arbeiten zeigen darüber hinaus, dass bestimmte Nischen im Knochenmark existieren, in welchen die Krebszellen das Interleukin-6-Signal nicht mehr empfangen können – was erklären könnte, warum bei manchen Patientinnen Metastasen nicht oder erst nach sehr langer Zeit auftreten, obwohl der Primärtumor bereits vor seiner chirurgischen Entfernung tausende von Zellen ins Knochenmark gestreut hat. Der Vergleich von Krebszellen aus dem Knochenmark von Patientinnen ohne Metastasen mit Krebszellen aus Blutproben von Patientinnen mit Metastasen deutet darauf hin, dass die Krebszellen während ihrer weiteren
Entwicklung im Knochenmark durch den Erwerb von Erbgutveränderungen, zum Beispiel in der Phosphatidylinositol-3-Kinase, von den Umgebungssignalen im Knochenmark unabhängig und damit immer bösartiger werden können.
Die Erkenntnisse der Forscher haben wichtige Implikationen für die Entwicklung neuer adjuvanter Therapien, das heißt Therapien, die nach Entfernung des Primärtumors auf die frühzeitige Eliminierung gestreuter Krebszellen abzielen und dadurch die Bildung tödlicher Metastasen in verschiedenen Organen zu einem späteren Zeitpunkt verhindern sollen. Es liegt nahe, dass Krebszellen während der verschiedenen Phasen der Krebsentwicklung eine unterschiedliche Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Medikamenten besitzen. In der frühen Phase der Erkrankung könnte eine Achillesferse der Krebszellen in der Abhängigkeit von Signalen aus ihrer Mikroumgebung bestehen, die ihr Überleben und ihre Vermehrung unterstützen. Möglicherweise sind die gestreuten Krebszellen in diesem frühen Stadium der Erkrankung empfindlicher gegenüber bereits vorhandenen Medikamenten, wenn ihnen zusätzlich die von der Mikroumgebung stammenden Wachstumsfaktoren entzogen werden oder gezielt eine Wachstumsaktivierung durch das Knochenmark unterdrückt wird. Das Team um Professor Klein hofft, dass sich im Optimalfall so die Entstehung von Metastasen bei Brustkrebspatientinnen eines Tages unterbinden ließe und damit ein Wiederaufflammen der Erkrankung verhindert werden könnte.
Originalpublikation:
Werner-Klein M, Grujovic A, Irlbeck C, Obradovic M, Hoffmann M, Körkel-Qu H, Lu X, Treitschke S, Köstler C, Botteron C, Weidele K, Werno C, Polzer B, Kirsch S, Gužvić M, Warfsmann J, Honarnejad K, Czyz Z, Feliciello G, Blochberger I, Grunewald S, Schneider E, Haunschild G, Patwary N, Guetter S, Huber S, Harbeck N, Rack B, Buchholz S, Rümmele P, Heine N, Rose-John S and Klein CA, Interleukin-6 trans-signaling is a candidate mechanism to drive progression of human DCCs during clinical latency. In: Nature Communications 2020
DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-020-18701-4
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- gepostet am: Freitag, 09. Oktober 2020